Kautabak

in

Nordhausen am Harz

Firmen
Geschichte des Kautabaks
Sammlerobjekte
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Bedeutende Unternehmen in Stadt und Kreis:
Die Kautabakindustrie
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Kautabak - der berühmte Nordhäuser Stift.
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Das 150-jährige Firmenjubiläum (1999) von Grimm & Triepel gibt Anlass, in der Historie der Nordhäuser Kautabakindustrie zu blättern.
Karl Meyer hat 1914 in Heft 20 der "Deutschen Rundschau für Handel und Gewerbe" dargelegt, dass die Kautabakherstellung in Nordhausen aus der älteren Tabakfabrikation hervorging und diese im Laufe des 19. Jahrhunderts und bis zum Ersten Weltkrieg überflügelte. Die Kautabakfabrikation nahm dann auch noch vor der für Nordhausen bedeutungsvollen Branntweinherstellung einen führenden Platz ein.
Der Kaufmann August Fleck gründete 1811 in der Kranichgasse 596 eine Farbrik für Rauch- und Schnupftabak und produzierte dann ab etwa 1815 auch Kautabak. In der "Enquete" der westfälischen Regierung werden 1811 nach Stadtarchivar H. Heineck neben 80 Branntweinbrennern jedoch schon vier "Tabakfabrikanten" genannt. Dagegen nennt W. Nebelung in seinem Aufsatz von 1927 für 1811 nur drei Tabakfabrikanten (Fleck, Heimbach, Loeffler), was wohl auch richtiger ist.
1817 gründeten Johann Friedrich Knies zusammen mit A. Weschke in der Kranichstraße 5 sowie Kaufmann Georg Andreas Hanewacker im Grimmel 6, Tabakfabriken mit Rauch- und Schnupftabak sowie geringen Mengen Kautabak.
Zu diesen Fabriken kamen 1827 die Firmen C.A. Kneiff (ehem. Salzaer Straße 3) und F.C. Lerche (Geseniusstraße 3-4) hinzu, den 1835 die Firma Reddersen (Hallesche Straße 10) folgte. C.A. Kneiff spann ab 1828 Kautabak.
Das Geschäft lief gut, zumal die in Nordhausen Branntwein abholenden Fuhrleute auch Rauch-, Schnupf- und Kautabak mitnahmen. Noch besser lief der Absatz für die verbleibenden Unternehmen, als A. Fleck 1841 in Konkurs ging. Seit 1843 kam eine Zigarrenfabrikation (sog. "Missouri-Zigarre") hinzu, die als Rohstoff sich der ausgelaugten Kentucky-Blätter von der Kautabaksoßenherstellung bediente.
Bis 1860 nahmen weitere Firmen die Produktion auf: 1842 Salfeld & Stein (Rautenstraße 48-49), 1849 Grimm & Triepel (in der Grimmelallee 2a) bzw. zunächst Kaufmann Theodor Grimm, dem 1858 Adolf Triepel beitrat.
1854 L.F. Rothhardt & Co., auch Grimmelallee 2a (Otto und Georg Kruse), 1858 Berlin & Bona in der Rodegasse 6-7 (später Ewald Hanewacker).
Schon Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Dampfkraft und damit angetriebene Maschinen eingesetzt, so dass durchaus von einer industriellen Entwicklung der Tabakindustrie gesprochen werden kann. Die Beschäftigungszahlen in den Tabakfabriken nahmen gegenüber denen in den Brennereien stark zu.
Die Zahl der Tabakfabriken erhöhte sich in Nordhausen zunächst noch auf 21, wovon allein 17 Kautabak herstellten. Heino Kohlbase zählte später aus Nordhäuser Einwohnerbüchern in mühevoller Kleinarbeit 55 Tabakfabriken, wovon 45 auch. Kautabak herstellten.
Eindrucksvoll kann man im "Tabakspeicher", dem Nordhäuser "Museum für Handwerk, Industrie und Archäologie", z.B. anhand der dort ausgestellten Reklameschilder und Kautabaktöpfe (heute begehrte Sammlerobjekte) die Vielfalt der Kautabak herstellenden Firmen besichtigen. Dieses Museum vertreibt sowohl Kautabakproben als auch ein instruktives Video, zu dem Heino Kohlhase (geb. 2. April 1906) als noch bei ""Hanewacker" tätig gewesener Werkmeister sowie die letzte deutsche Kautabakfabrik "Grimm & Triepel Kruse Kautabak GmbH" Witzenhausen beigetragen haben.
Kautabak ist ein Genussmittel, das vorzugsweise dort genossen wird, wo Rauchtabak aus Sicherheits- und anderen Gründen nicht verwendet werden darf ("Offiziersstift", "Kirchenzigarre). Die Herstellung erfolgte in Nordhausen aus dem schweren hochwertigen Kentucky-Tabak, der in drei Sorten über Bremen und Hamburg, in Form von Docken oder Puppen in Fässer gepresst, importiert wurde und bereits auf der Seereise eine Fermentation durchmachte. Die Sorte "Spinner" wurde in der Fabrik angefeuchtet, die großen Blätter geglättet, entrippt (= Rippentabak!) und in Streifen geschnitten. Die Sorte "Buscher" bestand aus kleineren Tabakblättern und diente als Einlage. Zur Herstellung der "Soße" wurde aus der Sorte "Lauger" zunächst eine "Tabaklauge" hergestellt und die dann nikotinärmeren ausgelaugten Blätter zur Zigarrenherstellung verwendet. Der Tabaklauge (später bezog man dafür Extrakte) wurden daraufhin aroma gebende Zutaten wie Sirup, Dörrpflau¬men, Südwein, Zitronensaft, Lakritze, Johannisbrot, Rum und andere leckere Sachen zugesetzt.
Die Soßenherstellung und deren Rezeptur war streng gehütetes Geheimnis jeder Fabrik und Familie. Ich erinnere mich, dass bei meinem Großvater Carl Werther nach 1945 durch Hausdurchsuchung die Rezeptur für den nunmehrigen "landeseigenen Betrieb" (später VEB Nortak) gefunden werden sollte. Carl Werther war ja nicht nur Aktionär der Nordhäuser Tabakfabriken AG, sondern auch Schwiegervater von Ewald Hanewacker, der neben Direktor Otto Ploetz zusammen mit Gerhard Kneiff in der "AG" leitend tätig war. Erwähnt sein soll hier noch Max Wäscher, der einstmalige Syndikus der AG; zu ihm und seiner Frau unterhielten meine Großeltern noch lange Freundschaft. Max Wäscher zeichnete gern, und ich freue mich immer wieder über seine Federzeichnung des Nordhäuser Alten Rathauses. Übrigens nahmen Dr. Ploetz als Reiseleiter und Ewald Hanewacker seitens der Aktiengesellschaft 1936 an einer "Studienreise für die gesamte Tabakindustrie nach Nordamerika" teil; die Überfahrt erfolgte von Hamburg aus hinwärts mit dem HAPAG-Doppelschrauben-Turbinendampfer "Hamburg" und zurück mit dem Schwesterschiff "Hansa". Man besuchte die Herkunftsstätte des Kentucky-Tabaks, Tabakplantagen und den "Springfield Tobocco Market" Tennessee.
Doch zurück zur Herstellung des Kautabaks. Dieser wurde auf der Spinnmaschine nach norwegischem Vorbild in Seilform von unterschiedlichem Durchmesser durch Drehung um die Längsachse "gesponnen" und dann zu Rollen aufgewickelt. Die Stärke richtete sich danach, ob die "Spinner" - Streifen allein oder mit Einlagen des "Buscher" versponnen wurden. Die Rollen wurden in Teilstücke zu Stangen, Röllchen oder Sticks geteilt. Die Behandlung mit der "Soße" erfolgte in verschiedenen Phasen. Es gab die Nr.1, fingerdick zum Hufeisen gebogen und mit Holzstab zusammengehalten. Davon leiteten sich die anderen, dünneren Stärken 5 und 7 ab, verpackt Anfang der 30-er Jahre in Blechdosen.
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Teil II:
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War Nordhausen am Ende seiner Zeit als "Freie und des Reiches Stadt" eine Ackerbau treibende, von Viehmästung und ausgedehntem Handel mit Getreide und Oelfrüchten lebende, Marktrechte frühzeitig besitzende Stadt, so änderte sich das zunehmend im 19. Jahrhundert, wozu die Kautabakindustrie entscheidend beitrug und den Brennereien den Rang ablief:
1908 gab es 68 Branntweinbrennereien, die Tabakindustrie verzollte 1908 = 2.064.061 Mark (1871 erst 211.330 Mark und 1913 bereits 3.377.941 Mark). Nach W. Nebelung (1927) wurden 1913 = 51.722 Ztr. Rohtabak eingeführt und in 18 Betrieben mit 2.432 Arbeitern verarbeitet zu überwiegend Kautabak, daneben auch Rauchtabak (incl. Rippentabak), Schnupftabak und Zigarren.
Diese industrielle Entwicklung brachte auch Konflikte mit sich. So fand .1901 der größte Streik der deutschen Kautabakindustrie statt, der mit einer über 6 Monate dauernden Aussperrung einherging. Interessant ist auch die Gründung einer "Kautabak - Arbeiterproduktivgenossenschaft" in Nordhausen.
Bedenkt man, dass das älteste Dokument zur Rauch- und Schnupftabakfabrikation in Nordhausen aufs Jahr 1721 datiert (es wurde das Gesuch der "Tabacksspinner" wegen einer Innung abgeschlagen), aber erst um 1815 (oder 1811?) die Kautabakfabrikation begann, im 4. Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts bereits industriell produziert wurde, so ist die Entwicklung dann bis 1913 nur als rasant zu bezeichnen. Sehr wesentlich dazu beigetragen, dass der Nordhäuser Priem trotz höherer Preise immer mehr "Marktanteile" (bis schließlich rd. 50 %) in Deutschland gewann, hat das Bestreben, nur beste Qualität zu liefern. So galt der Werbespruch:
"Nordhäuser Priem äss wältberiehmt, där Kenner keinen andern priemt!"
Die einstmalige Bedeutung der Kautabakindustrie für die Stadt Nordhausen zeigte sich z.B. auch daran, dass Hermann Hanewacker (Firma G.A. Hanewacker, gegründet 1817) 1900 zum Kommerzienrat ernannt und 1907 Ehrenbürger der Stadt wurde. Dies geschah nicht ohne Grund, wie Heino Kohlhase erzählt: Die "Hanewacker¬Brücke" und das Stadtbad verdanken ihm wohl nicht unerhebliche "Zuschüsse". Auch die heutige Gerhart-Hauptmann-Straße hieß vorher Kneiff-Straße (davor Salzaer Straße), was sicher auch nicht ohne gewisse finanzielle Hintergründe als Dank der Stadt geschah. Die DDR-Zeit strich diese "Erinnerungen", es blieb nur das Hanewacker-Grabmal auf dem Neuen Friedhof (die Stadt brachte es wieder in Ordnung).
Der 1. Weltkrieg brachte zwar erhebliche Beeinträchtigungen der weiteren Entwicklung, jedoch überlebte der Kautabak als "Kamerad Priem" zunächst auch diesen. 1920 kam es dann durch 10 Firmen zur Gründung der "Nordhäuser Tabakfabriken Aktiengesellschaft", der "Nortak". Über ein "Zentralbüro" in der Kasseler Straße 5, dem ein Zentralversand angeschlossen war, durch Otto Ploetz (Athenstedt & Bachodt) geleitet, wurde zunächst weiter in den dezentralisierten Produktionsstätten der Gründerfirmen produziert. Hinzu kam 1932 "Haus Nortak" als Gründung der AG unter Leitung von Dr. Paek. Noch heute gibt es Hinweise in unserer Stadt auf diese ehemals selbständigen Betriebe, z.B. Kneiff (Kneiffstraße 5, jetzt Finanzamt), Willig (jetzt Bildungswerk, Geseniusstraße 19), G.A. Hanewacker und Haus Nortak (jetzt "Schabernack", Südharzdruckerei u.a., Grimmel 6 bzw. Grimmelallee 10 a). Diese neue Aktiengesellschaft baute 1927/28 dann ein neues und markantes Produktionsgebäude, das viele Nordhauser noch als "Hanewacker-Fabrik" kennen (zu DDR-Zeiten verstaatlicht "VEB Nortak Nordhausen," dann Nortak GmbH, seit 1990 zum Reemtsma-Konzern gehörend). Der Bau dieses großen Fabrikgebäudes mit allen nötigen Neben-Anlagen war unter den Aktionären auf Grund unterschiedlicher Interessen seinerzeit sehr umstritten, wie alte Akten ausweisen.
Grimm & Triepel beteiligte sich nicht an der AG-Gründung und blieb selbständig. Wie man sagte, war das durchaus zu seinem Vorteil, wie auch die umfangreichen Fabrikgebäude in der Grimmelallee und Flickengasse heute noch zeigen (später VEB RFT Fernmeldewerk Nordhausen). Beide Unternehmen entwickelten sich zunächst weiter gut. So besaß die AG z.B. 135 Fahrzeuge und unterhielt Fermentationsanlagen in Duderstadt und Edingen/Neckar.
Der II. Weltkrieg und die Zeit danach brachte einen Niedergang der Kautabakherstellung. Auch die sich verstärkt entwickelnde Zigarettenindustrie und der Kaugummi taten ein Übriges. Die Produktion und die Zahl der Betriebe ging stark zurück und es wird nunmehr in Deutschland mit wenigen Mitarbeitern nur noch in Witzenhausen von der Familie Kruse, der seit1881 die Firma Grimm & Triepel gehört, Kautabak hergestellt. Dort ist nun auch die Marke "Hanewacker" angesiedelt. Nur noch der priemende bärtige Mann mit Zylinderhut lächelt uns von den Packungen zu, wogegen dies der priemende rustikale "Hanewacker-Mann" bzw. das modernere "Hanewacker-Männchen" der AG nur noch im Museum tut.
Ist es ein Kuriosum oder stecken handfeste Interessen dahinter? Die "Nordh. Tabakf." sind noch börsennotiert (WKN 677 150) mit sogar gelegentlich wechselndem Kurs als 5 DM-Aktie an der Berliner Börse.
Die "Nortak-GmbH", Straße der Genossenschaften 101, steht jedenfalls seit 1990 im Besitz der Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH, Hamburg, wie man in der "Jahresschau der Deutschen Industrie" (1999/2000) nachlesen kann.
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Zum Abschluss mag Heino Kohlhase erzählen aus der Zeit, als der Stern Kautabak noch hoch stand:
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Albert Ludwig - der Treppenreiter
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Es ist jetzt schon ein Menschenalter her, dass sein Gesicht zum Inbegriff eines typischen Nordhäuser Markenartikels geworden ist, nämlich des Priems von C.A. Hanewacker. Der den Betrachter anlächelnde bärtige Mann ist identisch mit dem Kutscher Albert Ludwig, einst wohnhaft Blasiikirchplatz 7, von Beruf Bierkutscher. Über ihn ist seinerzeit so manche Geschichte erzählt worden, die es wert ist, vor dem Vergessen bewahrt zu werden.
Als er noch Bierkutscher in der Berg-Brauerei war, ritt er eines Tages mit einem Kutschpferd wegen eines Hüfbeschlages zum Schmiedemeister Bruno Freitag. In der Nähe der Altendorfer Stiege kamen ihm zwei junge Offiziere entgegen, die nicht mehr ganz nüchtern waren und ihn fragten, ob er denn mit seinem Pferd die Treppen der Altendorfer Stiege "raufreiten" könne. Da der Bierkutscher Ludwig die Offiziere etwas verdutzt ansah, boten sie ihm einen Taler, wenn es ihm gelänge, die Treppe herauf- und wieder herabzureiten. Ludwig brachte dieses Kunststück zustande, nahm seinen Taler entgegen und hieß seitdem der Treppenreiter.

Als die Brauerei ihren Betrieb einstellte, wurde er bei der Firma Albert Busse als Rollkutscher eingestellt. Eines Tages brachte Ludwig eine Fuhre Tabakfässer zur Firma G.A. Hanewacker. Nachdem er sich dort gemeldet hatte, bekam er von einem Meister eine Rolle Priem. Er zog sein Taschenmesser und schnitt sich von der Rolle ein Stückchen ab. Diesen Vorgang beobachtete Kommerzienrat Hermann Hanewacker von seinem Büro aus. Daraufhin ließ der Kommerzienrat dieses Bild, wie Albert Ludwig gerade ein Stück Priem abschneidet, auf allen Kautabakschachteln abbilden.

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Hans-Dieter Werther, Nordhausen
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